Die Wissenschaftler wollen offenbar raus aus dem Elfenbeinturm. Zumindest veröffentlichen sie gerade fleissig allerlei Offene Briefe, die Aufschlussreiches aus dem Hochschul-Verwaltungs-Alltag berichten.
Vor einigen Wochen schon ging durch die Presse, dass ein Berufungsverfahren an der Freien Universität Berlin abgeblockt wurde, weil - so das Gerücht - der bestgeeignete Mann, Dr. Albert Scharenberg, für die Sache angeblich die falschen politischen Präferenzen habe. Er ist nämlich auch als
Gutachter bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung tätig.
Damit verstärkt sich der Trend, an bundesdeutschen Hochschulen unliebsame kritische (=politisch links orientierte) Wissenschaftler zunehmend kaltzustellen. Die "
Blätter für deutsche und nationale Politik" schreiben:
"Die bundesdeutschen Hochschulen befinden sich seit Jahren in einem neoliberalen Umbau (vgl. ausführlich den aktuellen Beitrag von Heiner Keupp auf dieser Website). Akteure in diesem Prozess sind nicht zuletzt die Präsidialämter der Universitäten, die immer öfter eigenmächtig in die Entscheidungen wissenschaftlicher Fachgremien eingreifen bzw. sich über diese hinwegsetzen.
Dabei scheint zuletzt auch die politische Einflussnahme zunehmend offener zu werden. So hat beispielsweise der Präsident der Universität Marburg die Nachfolge des Politikwissenschaftlers Frank Deppe gestrichen, obwohl dessen „Eck-Professur“ und „Forschungsgruppe Europäische Integration“ den Kriterien von „Exzellenz“ und Drittmittelforschung mühelos genügte – angeblich, weil ihm Deppes politische Ausrichtung nicht behagte."
Zurück zu Herrn Dr. Scharenberg: Es will schon einiges heissen, wenn ein Berufungsverfahren soweit eskaliert, dass es in dieser Form an die Presse gerät. Auch stellt sich die Frage, ob - bei allem Rückhalt der Kollegen und direkten Vorgesetzten - ein solcher öffentlicher Druck, dem zukünftigen Arbeitsklima wirklich nützlich ist - zumal wenn man ihn, wie Dr. Scharenberg, selbst betreibt. Aber stellen sind rar gesät, und eigentlich hat der Mann ja keine Wahl, wenn er wissenschaftlich und wirtschaftlich überleben will. Daher geht die Aktion jetzt in die nächste Runde: heute erschien ein offener Brief an
FU-Präsident Prof. Dr. Dieter Lenzen als 1/3 seitige Anzeige im Berliner "Tagesspiegel" (S. 4).
Und das steht drin:
"
Dass wir uns in dieser Personalangelegenheit, die normalerweise aus gutem Grund nicht öffentlich behandelt wird, an Sie wenden, liegt an den Gerüchten, die uns – wie auch sicherlich Ihnen – seither zu Ohren gekommen sind und die Ihren angeblich wahren Motiven gelten, die Berufungsliste Scharenberg nicht weiterzureichen (vgl. die Berichterstattung bei „Spiegel Online“ sowie in „Berliner Zeitung“, „Berliner Morgenpost“ u.a.). Wir wenden uns an Sie in der tiefen Sorge um die wissenschaftliche Freiheit, auf die sich die Forschung und Lehre an der FU, schon in ihrem Namen und Logo, stolz beruft. Uns scheint der Gedanke, politische Antipathien – und zwar der Umstand, dass Dr. Albert Scharenberg auch dem Kuratorium der Rosa-Luxemburg-Stiftung angehört – könnten bei diesem Berufungsverfahren eine entscheidende Rolle gespielt haben, gänzlich mit dem an Exzellenz orientierten Anspruch und dem freiheitlichen Geist der FU unvereinbar zu sein. Und es wäre zweifellos verheerend für die Freie Universität, wenn sich der Eindruck verfestigte, hier würden Professuren nach politischer Opportunität besetzt. [...]"
Vollständiger Brief
hier. Hervorhebungen von mir.
Ich möchte die Berufungspolitik der FU nicht mit dem Stalin-Regime vergleichen. Aber offenbar ist es für den FU-Präsidenten leichter, ein Denkmal für die "für die Freiheit des Denkens und für die freie Entfaltung des Individuums" (Momper) aufzustellen (
Tagesspiegel vom 6.9.2007), als diese selbst zu unterstützen und zu fördern.
Presseberichte
Spiegel Online:
http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,503501,00.htmlBerliner Zeitung:
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2007/0914/feuilleton/0024/index.html?keywords=links+kritisch+nordamerikaBerliner Morgenpost:
http://www.morgenpost.de/content/2007/09/11/berlin/920721.htmlNeues Deutschland:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/116071.htmlJunge Welt:
http://www.jungewelt.de/2007/09-22/023.phpJetzt.de:
http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/399441FU-Studierende hier:
http://www.jfki.fu-berlin.de/students/dates/info_jp.html
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