Mittwoch, 14. Februar 2007

2007 - Jahr der Geisteswissenschaften

Nach sieben Jahren, die den Naturwissenschaften gewidmet waren (wir erinnern uns: auf Physik, Lebenswissenschaften, Geowissenschaften, Chemie und Technik folgten 2005 das Einstein-Jahr und 2006 das Informatikjahr) ist dieses Jahr für die Geisteswissenschaften da! Fantastisch, möchte man als GeiWi rufen, endlich, wurde auch Zeit! Endllich darf ich erhobenen Hauptes durch Berlin gehen und offen bekennen: Ich bin Geisteswissenschaftler, und das ist auch gut so!
Und dann fragt man sich sofort, warum die Naturwissenschaften jede ein eigenes Jahr kriegen, während die zahlreichen Disziplinen der Geisteswissenschaften alle auf einmal abgehandelt werden. Immerhin fallen darunter so unterschiedliche Fachbereiche wie die Sprachwissenschaften (unterteilbar nach Sprachfamilien wie Romanistik, Anglistik etc), oder die Erziehungswissenschaften, oder alle historischen Fächer (von Urgeschichte bis Zeitgeschichte), oder Politikwissenschaften, oder Regionalstudien (wie Orientalistik, Islamistik, Sinologie), oder Religionswissenschaften - und dann erst kommen die vermeindlich musischen, als Höhere-Töchter-Fächer verspottete Disziplinen wie Kunstgeschichte, Musikwissenschaft oder Theaterwissenschaft.
Wohlgemerkt, die Liste ist keineswegs vollständig, soll aber zeigen, wie viele Untergruppe die Geisteswissenschaften bilden, von denen jede wiederum aus weiteren Einzelfächern besteht.
Orchideenfächer? Vielleicht die Alt-Byzantinistik, aber Geschichte? Oder Germanistik?
Im Übrigen ging die Vermehrung des Wissens immer schon mit Spezialisierung einher. Genauso wie wir die Unterschiede der einzelnen Naturwissenschaften anerkennen, oder die Notwendigkeit einer Differenzierung in der Facharzt-Ausbildung, sollte man die Geisteswissenschaften nicht alle über einen Kamm scheren. Wir buchen die Physik ja heute auch nicht mehr unter "Philosophie" - und doch hat sie da ihren Ursprung.

Aber deshalb gibt es ja das Jahr der Geisteswissenschaften, höre ich den NaWi oder WiWi oder gar NiWi (nicht-Wissenschaftler) sagen, jetzt werdet ihr doch gefördert! Endlich Anerkennung!
Ha!
Schlimm genug, dass es offenbar erst möglich ist, die Geisteswissenschaften erst in der zweiten Runde der Exzellenzinitiative zu berücksichtigen und dass dann auch noch als positiv zu verkaufen.
Immerhin: "Es ist wichtig, dass wir die kleinen geisteswissenschaftlichen Fächer vor dem Ausdünnen bewahren. Gerade in Zeiten, da die Globalisierung auch die akademischen Debatten prägt ist es falsch, vor allem die Institute zu schließen, die wesentlich zum Verständnis anderer Kulturen und Welten beitragen. Wir müssen begreifen, dass die Globalisierung eben nicht nur eine ökonomische Angelegenheit ist. Nehmen Sie als Beispiel Fächer wie Sinologie, Indologie, Ägyptologie, Islamwissenschaft: Was wir 'kleine Fächer' nennen sind Disziplinen mit großen Themenfeldern. Sie betreffen ganze Kontinente und sehr relevante Kulturen, deren Bedeutung im internationalen Zusammenspiel dramatisch wächst. Wenn wir uns der Möglichkeit berauben, die Kenntnis der Werte und des Selbstverständnisses dieser Kulturen zu verstehen, hat das erhebliche Folgen - übrigens auch im ökonomischen Dialog." (Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) in einem Interview, befragt von Norbert Wallet, in der Kölnischen Rundschau Nr. 8 vom Mittwoch, 10. Januar 2007 Seite 4 Politik)
Aber wenn wir mal ehrlich sind: Nicht alle geisteswissenschaftlichen Fächer sind klein. Bei den Studierenden muß man viele dieser Fächer jedenfalls nicht anpreisen, im Gegenteil, die Anzahl der Immatrikulationen beispielsweise für die Kunstgeschichte steigt seit Jahren kontinuierlich an. Ingenieure hingegen werden gesucht. Es sind die Nicht-Akademiker, vor allem aber die Hochschulpolitiker, die lernen müssen, wofür die Geisteswissenschaften gut sind. Damit sie auf die höhere Studiennachfrage nicht weiterhin mit Stellenkürzungen reagieren.

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