Immer wieder werde ich gefragt, wieso ich als Kunsthysterikerin denn ausgerechnet an einer TU studiere. Davon abgesehen, dass meine Antwort nicht sehr informativ ist (ich werde dafür bezahlt), scheint die Frage doch eher zu sein: warum gibt es überhaupt Geisteswissenschaftler an einer Technischen Universität. Eine Debatte, die angesichts der verarmten Landeskassen und dreier (incl. UdK sogar vierer) Hochschulen auf Berliner Boden ja auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Momentan führen sie stellvertretend der Soziologe (FU, emeritiert 2006) Wolf Lepenies und Adrian von Buttlar, Dekan der Fakultät I (Geschichte und Kunstgeschichte) der TU Berlin.
Lepenies erinnert daran, dass die Briten bei der Wiedereröffnung der TU 1946 die Neugründung einer geisteswissenschaftlichen Fakultät zur Auflage machten. Damit wollten sie sicherstellen, dass dort nicht noch einmal geistlose Technokraten ausgebildet würden. Nuna aber sei die Abwicklung der "traditionsreichen und hoch angesehenen Geisteswissenschaften" zu beklagen. Dass die "Verpflanzung der Geisteswissenschaften in ein fremdes Umfeld" trotz des traditionsreichen Streites der "Sciences" gegen die "Humanities" fruchtbar sein könne, habe hingegen der Literaturwissenschaftler Walter Höllerer (berufen 1959) bewiesen: Höllerer gründete kurzerhand ein „Institut für Sprache im technischen Zeitalter“ und eine gleichnamige Zeitschrift. Daran zu erinnern sei "kein Ausdruck der Nostalgie" sondern "Kritik an einer Institution, die durch ihre intellektuelle Magersucht Erkenntnis- und damit Zukunftschancen verspielt." Lepenius schließt programmatisch: "Heute wäre über die Seele im Zeitalter des Internet nachzudenken, über den Menschen in der Ära von Google, von Web 2.0 und „Second Life“ – der virtuellen 3D-Welt, in welcher wir uns eine alternative Existenz aufbauen können. Es ist höchste Zeit, den Ort der Geisteswissenschaften in Technischen Universitäten neu zu bestimmen. Unzeitgemäß ist es, sie dort vom Platz zu stellen."
In seiner Replik ergreift Buttlar die Gelegenheit, Lepenius nicht nur zuzustimmen, sondern auch zu den Status Quo der Fakultät auf dem neuesten Stand zu präsentieren. Die Geisteswissenschaften, so behauptet Buttlar trotzig, seien keineswegs abgewickelt worden. Vielmehr sei man 2006 zu einem Neustart angetreten, mit dem man "Forschung, Studium und Lehre von Geisteswissenschaften am Standort Technische Universität als besondere Chance zu begreifen" suche. Der neue Bachelorstudiengang "Kultur und Technik" beispielsweise wolle "die spannungsreichen Wechselbeziehungen zwischen Geistes-, Natur-, Technik- und Planungswissenschaften ins Blickfeld rücken", und auch in den sechs neuen, forschungsorientierten Masterstudiengänge gehe es "um die zugleich kritische wie auch synergetische "Ko-Evolution" (Günter Abel) der Wissenskulturen der "humanities" und "sciences" und damit um eine Perspektive, die wohl weder auf den Dialog mit unseren Partnern aus anderen Fakultäten noch auf die geforderte Selbstdisziplinierung verzichten kann." Die harten Sparmaßnahmen der vergangenen Jahre wolle er nicht schönreden, obwohl ein Protest dagegen jetzt wohl zu spät komme. Statt zu schmollen habe man ein neues, profiliertes und attraktives Studienangebot konzipiert, das Studierende und Lehrende gleichermaßen herausfordere. Fast triumphierend schließt Buttlar mit der Ankündigung, gleich fünf Strukturprofessoren seien neu zu besetzen, sodass von "intellektueller Magersucht" wohl keine Rede sein dürfe.
Und doch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier das Hungern als Fasten gesund geredet werden soll. Was sind schon fünf Neuberufungen gegenüber den fast 26 Einsparungen innerhalb der letzten fünf Jahre? Wie die per definitionem betreuungsintensiveren Bachelor- und Master-StudentInnen von zunehmend weniger Lehrenden angemessen betreut werden sollen, will mir zumindest nicht einleuchten... Was die Studierenden in interdisziplinären Wischi-Waschi-Studiengängen wie "Kultur und Technik" lernen sollen, ist mir im übrigen auch nicht klar. Bisher konnte ich mich als MagisterstudentIn ja auch für verschiedene, und durchaus unterschiedliche, Fächer einschreiben, bekam zugleich aber auch ein klares Profil vermittelt. Besser qualifiziert - und das wird ja immer gefordert - ist man mit den neuen BA sicherlich nicht. Vielmehr sollte die Wirtschaft viel mehr in die Pflicht genommen werden: Wenn die Firmen experimentierfreudiger in ihrer Einstellungspolitik wären, und zugleich bereit, einen Hochschulabsolventen gleich welcher Fachrichtung in ihren Betrieb einzulernen, statt einen fertigen Arbeitnehmer zu erwarten, wäre schon viel gewonnen. Vor allem in dieser Hinsicht können wir vom anglo-amerikanischen System noch viel lernen.
http://www.abc-der-menschheit.de/coremedia/generator/wj/de/07__Aktuell/Debatten/Fluch_20oder_20Segen.html
http://www.welt.de/kultur/article740401/Bitte_schaden_Sie_der_Technik.html
http://www.welt.de/welt_print/article747858/Heute_ist_nicht_gestern.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Lepenies
Dieser Artikel ist ein Update zu: Perlentaucher im Jahr der Geisteswissenschaften und Geisteswissenschaften? Schaffen wir sie doch einfach ab!
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vor 51 Minuten
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