An der
Leuphana gibt es eine "Projektgruppe Alternative DenkRäume", die sich dem Thema Hochschulpolitik verschrieben hat.
Abgesehen von dem unsäglichen Namen hat die Gruppe ein beeindruckendes Programm aus Vorträgen und Workshops organisiert, die das Thema Hochschulpolitik, insbesondere natürlich Bologna-Prozess und Lissabon-Prozess, be-und durchleuchten sollen. Sogar die Finanzierung besteht zu 90% ausMitteln selbst angeworbener Stifter, Stiftungen, ja auch der DGB... Dennoch: ehrlicher Respekt vor der Leistung. Schade, dass nur knapp 40 Hansel da waren, obwohl die geringe Besetzung der Diskussionsfreude keinen Abbruch getan hat. Und für nächste Woche kann man vielleicht etwas mehr Werbung machen.
Zum
heutigen Auftakt sprach
Dr. Andreas Keller,
Leiter des Vorstandsbereichs Hochschule und Forschung der
GEW über "Hochschulentwicklung im 21. Jahrhundert - Aktuelle Trends und mögliche Alternativen". Hochinteressant, sprach er mir doch in allen Bereichen zum Thema "Wissenschaft als Beruf" aus der Seele. In der Tat muss neben dem Beruf "Professor(in)" noch eine Position möglich sein, die nicht als "Nachwuchswissenschaftler" vermarktet wird: ist man mit fertiger Habil etwa noch Nachwuchs, bloss weil man keinen Lehrstuhl hat? Es gibt keinen Betrieb in Deutschland, wo ausschließlich die Kategorien "Manager" und "Praktikant" existieren. Nur die deutsche Uni hält das für normal. Die Ausbeutung der Lehrbeauftragten und PDs muss man gar nicht weiter ausführen, der systematische Abbau des Mittelbaus hat die Wissenschaft zweifellos für viele Menschen, insbesondere Frauen, als Karriereoption noch unattraktiver gemacht. (Aber wer soll die fehlenden Fachkräfte denn ausbilden?) Die anwesenden Studierenden interessierten sich naturgemäß mehr für die Aspekte der Bologna-und Lissabon-Prozesse. Kernfragen: wenn dies keine völkerrechtlich bindenden Abkommen sind, warum werden sie dann so umgesetzt, als seien sie welche? Und warum haben die Gesetzgeber die Deklarationspapiere offenbar nicht gelesen- immerhin sei dort weder von Bachelor, noch von Master, noch von dreijährigem Studium die Rede. Während die Abkommen selbst gar nicht schlecht seien, sei die Umsetzung halt weit vom Inhalt der Abkommen entfernt.
Da muss man nun aber auch die Hochschulen, ja- die selbstverwalteten Hochschulen mit ihren Gremien aus etablierten Professoren und Professorinnen - viel mehr in die Verantwortung ziehen. Jahrelang nichts mitbestimmen wollen, sondern die Reform aussitzen versuchen. Und jetzt den Frust an den Studierenden auslassen, die ja nun am allerwenigsten dafür können.
Nun ja. Die Debatte hat viele Aspekte. Weitere folgen.
Nächste Woche, 6. Oktober 18:15-19:45 im C HS 3, in den DenkRäumen: (V) Hochschulsysteme in ihrer historischen Entwicklung. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der deutschen, französischen, englischen und amerikanischen Hochschulentwicklung seit 1750 Dr. Detlef Gaus, Leuphana Universität LüneburgDie Veranstaltungen der DenkRäume, aber auch das Semesterthema "Bildungsauftrag der Universität" im interdisziplinären Modul "Geschichte" für die Erstsemesterstudierenden der Leuphana ist aktuell und betrifft uns alle. Das zeigt auch die Tatsache, dass nur wenige Stunden zuvor Frau
Merkel auf ihrer so genannten "Bildungsreise" die
Leuphana als einzige Universität in Deutschland besucht hatte. "Dort wolle sie sich über das neue Studienkonzept der Universität sowie die von Architekt Daniel Libeskind entworfenen Pläne zum Ausbau des Campus informieren, sagte ein Sprecher der Universität. Geplant ist außerdem ein halbstündiges Gespräch mit Studentenvertretern." so hieß es im Vorfeld auf
Yahoo News.
Die "DenkRäume" hatten auch hier ein aufwendiges Programm inszeniert, um gegen irgendetwas zu protestieren. (Was genau wurde mir leider nicht klar, da ich arbeiten musste und dem Gepfeife nicht zuhören konnte. Einen
offenen Brief mit den Kritikpunkten habe ich aber inzwischen gefunden. Der AStA hatte sich nämlich auch beschwert, innerhalb ihres 90 minütigen Besuchs sei zu wenig Zeit Diskussion. Geplant war eine halbe Stunde mit 16 ausgewählten Studierenden. Ich war ja nicht dabei, aber ein Drittel der Gesamt-Zeit klingt doch schon ganz gut... Und da Bildungspolitik ja eigentlich Ländersache ist, wäre Frau Merkel wohl ohnehin nicht die zuständige Ansprechperson.)
Da alles abgesperrt war, erfahre ich auch nur aus der Presse, was sie denn nun hier tatsächlich getan haben soll. Die
ad-hoc-news.de berichten: "
Merkel lobte dabei das neue Studienmodell der Universität, das dazu beitrage, Studenten schneller für die Wirtschaft verfügbar zu machen."
Ich wage zu bezweifeln, dass sie -als Wissenschaftlerin- das Leuphana Konzept nur wegen des schnelleren Abschlusses gelobt hat. Das können schliesslich alle Bachelorstudiengänge Deutschlands von sich sagen. Bemerkenswert ist doch vielmehr, dass das Studium trotz der zeitlichen Verdichtung nicht nur Raum für interdisziplinäres Arbeiten, Persönlichkeitsbildung und andere humanistische Werte lässt, sondern diese im Konzept ausdrücklich fordert. Immerhin ein Drittel der Studienleistungen muss über das komplett interdisziplinäre erste "Leuphana Semester" und das sogenannte Komplementärstudium erworben werden. Der Blick über den Tellerrand ist also auch im Bachelorstudium möglich - und nötig.
Das wusste die Kanzlerin/Physikerin wohl tatsächlich auch zu würdigen:
„Ich habe den festen Eindruck gewonnen, dass hier etwas sehr Spannendes entsteht.“ (so liest man auf de Homepage der Stadt Lüneburg.) Festmachen könne sie das an drei wichtigen Punkten: der Gestaltung eines Campus, der Umsetzung des Bologna-Prozesses mit Bachelor- und Master-Studiengängen sowie der grundsätzlichen Ausrichtung mit jeweils einem Haupt- und einem Nebenfach. Die Universität in Lüneburg „ist mit Sicherheit eine Bereicherung für die deutsche Universitätslandschaft“ .
Wirklich ausführlich berichtet bisher nur die
HAZ, dafür aber mit Video. Juchhe. Dennoch eine Richtigstellung: Dass "viele der 8500 Studierenden [...] zu den Trillerpfeifen" griffen, klingt nach Massendemo.
Wahr ist, dass die Leuphana ca 8500 eingeschriebene Studierende hat. Anwesend waren schätzungsweise 200 Studierende aller Jahrgänge- der Rest hatte entweder Vorlesung, oder war schlichtweg wegen der angekündigten Parkplatzprobleme gar nicht erst erschienen. Von den Schaulustigen waren vielleicht 30 Protestler, von denen einige, ja, Trillerpfeifen hatten. Nur um mal die Dimensionen zurechtzurücken.
Und die Finanzierung des geplanten neuen Audimax (durch Bund, Land, Kommune, Spender etc) hat mit der Finanzierung einzelner Studiengänge (Land! Bildungsministerium!) oder der Entscheidung über zukünftige Schwerpunktbildung an der Universität (Stiftungsrat! Senat! Präsidium!) nicht wirklich viel zu tun. Den Platz brauchen wir ohnehin - es gibt jetzt schon zu wenig Räume. Der Neubau ist im Verhältnis auch nicht zu teuer, und wird sich durch die nachhaltige Bauweise und nicht zuletzt durch die (für die Leuphana kostenlose) Marke "
Libeskind" auch schnell ammortisieren.
Quellen und Links:
http://www.leuphana.de
http://www.gew.de/Vorstandsmitglieder.html
http://www.gew.de/Startseite.html
http://bildungsklick.de/pm/35084/personalia-andreas-keller-neues-gew-vorstandsmitglied/
http://www.angela-merkel.de/
http://www.asta-lueneburg.de/fileadmin/images/sprecherinnen/2008-10-09_Offener_Brief_AStA_Merkel.pdf
http://www.ad-hoc-news.de/Merkel-beendet-Bildungsreise-Lob-fuer-Lueneburger--/de/Politik/19733485
http://www.lueneburg.de/desktopdefault.aspx/tabid-77/169_read-11600/
http://www.haz.de/newsroom/regional/art1065,704206
Update:
http://www.net-tribune.de/article/091008-100.php
Auf der Seite der
Lünepost -ohnehin schwer zu navigieren - ist offenbar der neue Sülfmeister die wichtigere Meldung... von Frau Merkel nichts zu lesen.
http://www.luenepost.de/