Sonntag, 13. Juli 2008

Offener Brief: Staatsoper unter den Linden gefährdet


Über arthist.net kam heute folgender offener Brief in meine Inbox geflattert:
[Anmerkung der arthist.net-Redaktion: Wir dokumentieren einen Offenen Brief des
Ulmer Vereins für Kunst- und Kulturwissenschaften. Der Inhalt dieses
Briefes muss nicht die Meinung der Redaktion von H-ArtHist
widerspiegeln.]

Foto: il Bern

"Berlin, den 09. Juli 2008 Sehr geehrter Herr Wowereit, der Ulmer Verein für Kunst- und Kulturwissenschaften, die Berufsvertretung von Kunsthistorikern in Deutschland, möchte mit diesem offenen Brief den hohen architektonischen und geschichtlichen Wert der heutigen Berliner Staatsoper Unter den Linden unterstreichen. Wir plädieren ausdrücklich für den Erhalt des denkmalgeschützten Zuschauerraums der Lindenoper. Die besonnene und künstlerisch hochwertige Vermittlungsleistung ihres Wiedererbauers Richard Paulick wird in der gegenwärtigen Debatte unterschätzt. Paulick war ein namhafter Vertreter des Bauhauses. Seine Staatsoper ist ein Schulbeispiel für eine gelungene Rekonstruktion. Der Wert des verloren gegangenen Originals ist auf einen Ersatzbau übertragen worden. Der Ersatzbau hat den Ort, die Form sowie Teile der Substanz des alten übernommen und wurde so zu einem neuen Original. Es mag paradox klingen, aber die Wertübertragung gelang gerade deswegen so gut, weil das neue Original nicht mit dem alten identisch ist. Denn Paulick hat nicht einfach das friderizianische Interieur wieder nachgebaut. Er hat es vom feudalen Logentheater in ein bürgerliches Rangtheater verwandelt, hat die Detailgestaltung nach Vorbildern in Knobelsdorffs Potsdamer Bauten neu entworfen und damit ein eigenes Werk geschaffen, das Knobelsdorff allenthalben evoziert. Die Akteure von damals - der Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher, der Architekt Richard Paulick, der designierte musikalische Leiter der Staatsoper, Erich Kleiber, alle aus dem Exil zurückgekehrt - gehörten zu den Künstlern und Politikern, die Deutschland noch als die ungeteilte Kulturnation dachten, die wir jetzt, bald 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, allmählich wieder geworden sind. Die Staatsoper ist kein Ost-Denkmal, sondern ein gesamtdeutsches. Sie ist in ihrer Wiederaufbaufassung ein wertvolles, charakteristisches Werk des ersten Nachkriegsjahrzehnts, das als Gesamtkunstwerk überliefert und als Erbe für kommende Generationen zu bewahren ist. Es ist Paulick, der uns Knobelsdorffs Werk übermittelt hat; und wer jetzt Paulicks Wiederaufbau ausräumt, hat am Ende auch keinen Knobelsdorff mehr. Abschließend noch ein Wort zur Akustik: Die ältere Musik klingt, wie alle Kenner versichern, in der Staatsoper vollkommen richtig. Vielleicht sollten die neueren, ganz großen Opern (Richard Wagner, Richard Strauss) eben doch in der Deutschen Oper an der Bismarckstraße aufgeführt werden. Das Versprechen, der neue, von Roth entworfene Zuschauerraum werde mit Gewissheit eine entscheidende akustische Verbesserung bringen, hören wir mit größter Skepsis. Die UnterzeichnerInnen fordern Sie im Namen unserer Mitglieder und Kollegen auf, sich für einen Entwurf einzusetzen, der die sensible gestalterische Leistung Paulicks respektiert und den Zuschauerraum vor einer Zerstörung bewahrt. Mit freundlichen Grüßen Der Vorstand des Ulmer Vereins (Matthias Bruhn, Lucas Elmenhorst, Elke A. Werner, Philipp Zitzlsperger)

Der Text des offenes Briefes und die Liste der Unterzeichnenden:
http://www.ulmer-verein.de/uv/index.php Wenn Sie das Schreiben mit Ihrer Unterschrift ebenfalls unterstützen wollen, senden Sie bitte eine E-Mail mit Name, akadem. Titel, Wohnort an: philipp.zitzlsperger@culture.hu-berlin.de"

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