Samstag, 14. August 2010

Lehrjahre sind keine Herrenjahre.

SPIEGEL ONLINE schreibt vom "Alptraum Promotion". Diesmal liegt der Fokus aber auf dem finanziellen Alptraum, ein selten öffentlich beleuchteter Aspekt.
Lehrjahre sind keine Herrenjahre, hieß es dazu früher. Mag sein. "Früher" studierte man fünf oder sechs Jahre, und der niedrigste Abschluss war die Promotion. 1960 wurde der Magister vorgeschaltet, inzwischen der Bachelor, auch wenn der vielerorts nun auch vier Jahre braucht - die Regelstudienzeit für meinen Magister. Wer also mit 25 seinen ersten "berufsqualifizierenden" Abschluss in der Tasche hat, hat heute einen niedrigeren akademischen Grad als vor 50 Jahren. Berufsqualifizierend hin oder her - die Lehrjahre sind damit -rein finanziell jedenfalls - noch lange nicht vorbei.

Bild: (c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)

An sich ist das völlig in Ordnung: Wenn man jung ist, ist man schließlich  (in der Regel) bereit, (auf vieles) zu verzichten. Schon deshalb, weil es sich gar nicht anfühlt wie ein Verzicht. Seien wir ehrlich: der Sprung vom 12qm Kinderzimmer ins 12qm Wohnheimszimmer bietet platztechnisch keine wirkliche Verschlechterung, aber enorme Chancen (oder doch Herausforderungen?) für die persönliche Entfaltung:  selbst bestimmen, wann und ob man aufräumt, wann und ob man aufsteht, wann und ob man laut Musik hört (die Auseinandersetzung mit Mitbewohnern ist von völlig anderer Qualität als die mit Eltern. Selten beschwert man sich bei seinen Eltenr über zu laut gehörte Rockmusik während man eigentlich lernen will...) -- kurzum, eigentlich verbessert man sich. Noch mehr sogar wenn man in die erste eigene Wohnung zieht - mit oder ohne Umweg über Wohnheim und/oder WG. Die ersten Jahre "draußen" alleine - als Student/in oder in der Ausbildung - fällt die sogenannte Einschränkung daher gar nicht so schwer.
 Für einige: ein verdrecktes Wohnsilo - für mich: grenzenlose Freihei tund ein Zuhause..
Bild: http://www.stuwe-tuebingen.de/?Wohnheime:Geigerle
Außerdem studiert man ja (macht man ja eine Ausbildung), um später mal so richtig Geld zu verdienen.
Aber wann ist "später"? Und wieviel Geld ist "so richtig viel" eigentlich? In konkreten Zahlen? Davon hatte ich lange keine Ahnung. Eigentlich weiß ich es bis heute nicht so genau. Ganz sicherlich  wusste ich nichts darüber zu der Zeit, als ich meinen Schulabschluss machte und mich für einen Ausbildungsweg entschied. (Es zahlt sich nicht aus, die Kinder zu sehr zu behüten.)
Während des Studiums kam ich gut aus mit meinem Geld - ich brauchte nicht viel: Bafög und Hiwi-Stellen; Wohnheim oder WG-Zimmer, Semesterticket, selber kochen statt essen gehen, Hausarbeiten schreiben und Ferienjobs statt Urlaub, dazu kein Auto -- und schon blieb genug Geld für's Kino. Erst mit dem 27. Geburtstag wurde das Leben teuer: Versicherungen selber zahlen zum Beispiel, aber auch andere Vergünstigungen fielen weg. Viel schlimmer aber - ich hatte langsam das Gefühl, mit dem Studienabschluss sollten die Lehrjahre nun mal langsam vorbei sein. Außerdem: ich brauche zwar kein zusammenhängendes Geschirr - aber ich mag es.... Nichtsdestotrotz entschied ich mich für eine Promotion.
SO nicht mehr! Bild: http://www.tip-berlin.de/files/mediafiles/58/Neurotitan_byHercher.jpg

Inzwischen bin ich im 6. Jahr . Drei Jahre genoß ich die Vollzeit-Förderung in einem Graduiertenkolleg. Das Stipendium war ausreichend, aber bei 1000 Euro brutto war es schon vorteilhaft, dass wir Residenzpflicht ausgerechnet in Berlin hatten. In München oder Hamburg wäre die Haushaltsführung alleine schwieriger geworden, und dem WG-Alter fühlte ich mich entwachsen. Reisen, selbst in Archive, war eigentlilch nicht drin.
Herrenjahre? Wohl kaum. Nennen wir es "Gesellenjahre".
Seit zweieinhalb Jahren bin ich zudem berufstätig. Für die 30-Stunden Woche bekam ich ursprünglich 50%, inzwischen habe ich die verdienten 75%. Von dem Gehalt kann man leben. Man kann sogar ab und zu mal einen Kaffee trinken gehen, Bio-Eier kaufen, und ich darf sogar mein Bafög zurückzahlen - untrügliches Zeichen dafür, dass man nun zu den "richtigen" verdienenden Menschen gehört. Ohne Dispo geht es trotzdem noch immer nicht.

Geld ist besser als Armut, wenn auch nur aus finanziellen Gründen. Woody Allen

Mir geht es gut, ich will mich nicht beschweren. (Vielen Doktoranden geht es bedeutend schlechter!) Aber "Herrenjahre" sind es noch nicht. Ich stecke zurück, ich habe mich schließlich selbst und freiwillig für eineTeilzeitstelle (und die Teilzeitbezahlung) entschieden - da ist schließlich noch immer eine Diss zu schreiben.
Aber wisst Ihr was?
Sollte ich mich für eine Universitäts"karriere" entscheiden, dann wird es garantiert nie mehr etwas mit den Herrenjahren.
Bild: https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjVeyMpY9JPpkjEm2FUpHzdlHnfoA21D4kFKhVTRqe_3dhN8JNkj6FDI94eyQEMHgjh4HfaihKg5vAyusRYAQyug9-De2MHOTGsZfoC1Lao5X25XH9uxTSMHhy-vbP84rSXzMBN1jBG3Gk/s1600-h/frustration.jpg

Eine Habilstelle ist für Kunsthistoriker nicht leicht aufzutreiben, vor allem wenn man örtlich nicht mehr so flexibel ist - was mit Nestbauphase und so weiter. Das Leben als Wanderlehrer hingegen kann ich mir gerade ausführlich aus sicherer Entfernung betrachten. Einen Lehrauftrag für 500 Euro (wenn man Glück hat sind es fast 1000 Euro, das variiert) im Semester (28 SWS)? (Reisekosten häufig nicht oder nicht vollständig inbegriffen) Also, Wertschätzung für gute und engagierte Lehre spiegelt das nicht, zumal wenn man sieht, dass Leute  in der sogenannten "freien Wirtschaft" das gleiche Geld für einen zweistündigen Workshop einstreichen. Und verdientermaßen! Gute Lehre muss vorbereitet, begleitet und nachbereitet werden - Hausarbeiten wollen korrigiert und besprochen sein - das alles zahlt Dir keiner. Der Stundenlohn, den die VERDI für ungelernte Arbeiter fordert, liegt damit ungefähr 100% über dem von promovierten Lehrbeauftragten. Der Reiz des Wanderjahrs liegt in der zeitlichen Begrenzung: ein Jahr und ein Tag - und der Aussicht, danach ein wertvolles Mitglied der Zunft zu sein. Der Frust des "Wanderlehrers" liegt in der zeitlichen Begrenzung: Wissenschaftszeitvertrag - noch 6 Jahre bis  zur Arbeitslosigkeit, danach Ausschluss aus der Zunft (universitas)....
Als Zimmermann macht das Wandern Spaß. Bildquelle: http://de.academic.ru/pictures/dewiki/103/gesellen1.jpg

Warum sich dennoch so viele Wissenschaftler auf diese Ausbeutung während der "Wanderjahre" ohne feste Stelle einlassen? (Das Phänomen ist übrigens keineswegs auf Doktoranden beschränkt. Die Situation ist selbst für Habilitierte, sogenannte Privatdozenten unverändert ) Ganz einfach: Man macht es aus einer Mischung aus Idealismus und Erpressung.
Erpressung, denn dies ist der einzige Weg, einen Fuß in die Tür der akademischen Festeinstellung zu bekommen, oder zumindest am Flurfunk eines Instituts teilhaben zu können. Lehrerfahrung ist eine Einstellungsvoraussetzung, denn promoviert (auch mit guten Noten) haben alle anderen auch. Sie wollen lehren? Dann zu unseren (schlecht bezahlten) Bedingungen.
Und Idealismus, denn durchschnittliche Lehrbeauftragte lieben Ihren Job. Sie haben Freude an der Lehre, sie wollen junge, oder zumindest jüngere Menschen zum Lernen, zum Forschen animieren. Ja, wirklich, das macht enorm Spaß. Aber nicht soviel Spaß, wie endlich mal den Dispo auszugleichen, oder sich einen Kleiderschrank kaufen zu können.

Klar: Ich rede als Süchtige von der Droge. Aber ich werde versuchen, von dieser Droge runterzukommen.

Links:
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,706286-2,00.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Magister
weitere Meinungen:
http://blog.arthistoricum.net/promotion-selbstausbeutung/

Zuletzt (?) schrieb ich über akademische Selbstausbeutung hier: Angela Merkels Bildungsreise: Station Leuphana. Andreas Keller, GEW
nee. Hier: Schein vs. Credit. Nach dem Semester ist vor dem Semester.

2 Kommentare:

tientje hat gesagt…

Moin Bleifstifterin,
Du sprichst mir mal wieder aus der Seele. Einer der Gründe, warum ich noch immer nicht mit dem Studium fertig bin um dann "richtiges Geld" zu verdienen, ist, dass ich jetzt schon eine Halbtags-Stelle im Krankenhaus arbeite um mich zu finanzieren (auch ich fühle mich dem WG- und Wohnheim-Alter entwachsen und alleine zu wohnen, Internet, Handy, Semesterticket, Studiengebühren, einen Notgroschen weglegen, Exkursionen und das alles von einem Halbtages-Gehalt ist echt ein Jonglage-Spiel, vor allem, wenn man alle paar Tage auch mal was essen will.) Aber was das mit einem macht spüre ich gerade die letzten Tage wieder. Ich habe gerade 11 Nachtdienste am Stück gemacht - jetzt hat mein Hirn die Konsistenz von klarer Brühe. Wenn ich einen Text das dritte mal gelesen habe, weiß ich immer noch nicht worum es geht. Ich glaub ich mach die nächsten 2 Tage mal Hausarbeit, die die letzten Tage liegen geblieben ist - vielleicht klappt nach einer Großputz-Aktion das mit dem Denken wieder.
Ich werde wohl nach dem Studium auch eine Diss anschließen müssen - ohne kriegt man in unserem Fach ja sowieso keinen Job - aber das ginge nur neben einem Beruf und nach Feierabend.
Aber jetzt muss ich mich erst mal zum Abschluss durchschlagen.
LG aus HD,
tientje

Bleistifterin hat gesagt…

Liebe Tientje,
ganz ehrlich: die Schere ist im Kopf. NATÜRLICH gibt es Stellen für studierte Kunsthistoriker, haufenweise! Vielleicht nicht als Kunst-händler/-kritiker/-museumsmensch/-unimensch, aber wenn man sich davon erstmal frei macht -- haufenweise Stellen, in denen man richtiges Geld verdienen kann... Auch ohne Diss!

Versteh mich nicht falsch: ich schreibe die Diss, weil ich mich für mein Thema (immer noch!) interessiere, es (immer noch) Spaß macht, und ganz allein für mich. Basta. Ende. Wenn Du Dir vorstellen kannst, Kunstbetrachtung als Hobby zu betreiben, dann brauchst Du sie nicht.