Endlich war heute mal Sommersonnenwetter. Und ich habe den ganzen Tag auf meinem nicht vorhandenen Balkon (= Sofa am offenen Fenster) gesessen und gelesen. Herrlich! Allerdings handelte es sich wohlgemerkt keineswegs um einen Roman oder andere fiktionale Trivialitäten, sondern um einen Klassiker der zeitgenössischen Forschungsliteratur zum Thema Nationalbewegung: Benedict Anderson's Imagined Communities.
(Ein zweiter Anlauf nachdem ich mich zwar daran erinnern konnte, das Buch vor drei Jahren schon einmal gelesen zu haben, aber nicht wirklich daran, was drin stand.)
Ich glaube, mit einigen seiner Konzepte komme ich vielleicht weiter - vor allem ein "neues" Kapitel aus der Neuauflage (über Narration, Erinnerung und bewusste, ja offenkundige Auslassung) klingen vielversprechend. (Deutsche Übersetzung hier.)
Für mich als bekennende Methoden-Schlampe (d.h. sehr ungenau, unsicher und ungeschult in der Methodenreflexion) war natürlich das Nachwort zur zweiten Auflage fast das interessanteste am Buch: eine Einordnung des Buches durch den Autor in die Forschungslage sowohl der ersten als der zweiten Auflage, genaue Motivation und Position pro/con welche Kollegen, und eine faszinierende Aufzählung der Rezeption über die Publikations- bzw. Übersetzungsgeschichte, komplett mit (akademisch-politischer) Einschätzung der Verlagshäuser und deren Motivation.
Aufschlussreich, weil ich offenbar immer noch nicht vollständig begriffen hat, dass Bücher und die Menschen, die sie schreiben, ganz eng zusammen hängen, und diese Bücher - wie alle Texte - stets durch die Lebensumstände dieser Menschen motiviert sind.
Ich meine, ich weiss das.
Aber ganz tief in meinem Herzen bin ich immer noch und immer wieder erstaunt, dass man Buchautoren treffen kann.
("Wie der lebt noch? ich habe doch ein Buch von ihm?!?")
(Und nebenbei bemerkt, ich bleibe auch bei meiner Verallgemeinerung, dass es in der Regel besser ist, nicht mit dem Künstler/Autor zu sprechen. Das zerstört die Illusion. )
Das merkwürdigste daran ist, dass ich mich nach fast 13 Jahren akademischen Lesens immer noch darauf konzentrieren muss, diese (für mich) sehr nützliche Faustregel* nicht auf Wissenschaftler zu übertragen...
* In einer denkwürdigen Ausnahme von dieser Regel habe ich einmal einen Auslandsaufenthalt verschoben, weil Terry Pratchett eine "Lesung" (mehr ein Interview) in Berlin hatte. Und es war richtig, den Flug zu verschieben! Auch wenn ich mit meiner Transformation in ein errötendes Groupie gar nicht zufrieden war - zumindest habe ich jetzt vier signierte Bücher, und in Small Gods sogar eine Zeichnung einer Schildkröte! The Turtle Moves! (Was mich aber nicht dazu bewegen wird, seinen wohlrezensierten Letztling Nation zu zitieren. Schade eigentlich, denn wenn irgendwo "Narrativium" -ganz im Sinne meiner momentanen Interpretationslinie - als konstituierendes Element der Welt angesehen wird, dann auf der Scheibenwelt. Und Fußnoten benutzt er ja auch... Aber das traue ich mich dann doch nicht. )**
**Gerade lese ich in dem schon zitierten Wikipedia-Artikel, dass Pratchett Alzheimer hat.
Scheiße. Sicher für ihn mehr als für mich, aber trotzdem. Scheiße. Der Mann ist IMHO brilliant, und soll nun zusehen müssen, wie sein Verstand nach und nach zerfällt?!
Das mit dem Ritterschlag hatte ich hingegen mitbekommen. Ein bisschen absurd, wenn man bedenkt, wie republikanisch seine Bücher sind. Aber warum soll es im besser gehen als Captain Vimes?
Links
http://www.amazon.de/Imagined-Communities-Reflections-Origin-Nationalism/dp/1844670864/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1246296369&sr=8-1
http://www.amazon.de/Die-Erfindung-Nation-Karriere-folgenreichen/dp/3593377292/ref=sr_1_2?ie=UTF8&s=books&qid=1246296369&sr=8-2
http://de.wikipedia.org/wiki/Terry_Pratchett
http://www.amazon.de/Small-Gods-Terry-Pratchett/dp/0552152978/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1246297464&sr=1-1
http://www.amazon.de/Nation-Terry-Pratchett/dp/0385613709/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1246297558&sr=1-1
http://www.lspace.org/books/analysis/statistics.html#footnotes
http://www.lspace.org/books/analysis/andreas-kristiansen.html#Toc58643936
http://www.lspace.org/
http://de.wikipedia.org/wiki/Alzheimer-Krankheit
http://en.wikipedia.org/wiki/Sam_Vimes
Dieser Post ist ein Update zu Neue Köpfe. Neue Welten und Südafrika on my mind. und irgendwie auch Bücher sind Lebensmittel. November.
Montag, 29. Juni 2009
Narrative Weltsicht. Erfreulich, verständlich, hilfreich.
notiert unter
Bücher: Fiction,
Bücher: Non-Fiction,
Einblicke in den Elfenbeinturm
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