Samstag, 21. November 2009

Studierendenproteste in Serie. Heute: Studiengebühren (Teil 2)

Zuletzt haben wir uns mal angeschaut, was Studiengebühren eigentlich sind, wofür sie erhoben werden und was damit geschieht. Stehengeblieben waren wir bei der Frage: und was wollen wir nun damit tun, jetzt wo sie da sind?

Im Großen und Ganzen gibt es zwei Möglichkeiten. (Natürlich gibt es noch viel mehr, aber schon so wird es komplex und lang genug für diesen kleinen Blog. Seien wir doch ehrlich zu uns selbst: das will doch sonst keiner lesen, geschweige den schreiben. Denn schließlich versuche ich, die Arbeit an meiner Diss mit dem Bloggen hinauszuzögern, nicht sie durch ein anderes Projekt zu ersetzen!)

1) Studiengebühren wieder abschaffen
Dies ist, wenn man die Evolution der Forderung von „Studiengebühren gar nicht erst einführen“ in den 1990er Jahren noch zurückführt auf die Abschaffung der Hörergelder in den 1970er Jahren, sicherlich die älteste Forderung der Studierenden.

pro: Studiengebühren verhindern soziale Durchmischung der Hochschulen, nur die Kinder reicher, ebenfalls akademisch gebildeter Eltern könnten es sich demnach leisten zu studieren, dadurch würden die vorhandenen sozialen Schichten weiter zementiert. Außerdem belegen Studien, dass Studiengebühren viele studierwillige Menschen davon abhalten, ein Studium aufzunehmen – dabei soll ja eigentlich der Prozentsatz der Menschen pro Jahrgang mit Hochschulabschluss erhöht werden.

contra: Die Gebühren sind zur Zeit gar nicht hoch genug, um tatsächlich ungerecht zu sein. In der Tat nehmen die Ausgaben für Studium und Lernmittel den geringsten Anteil unter den Lebenshaltungskosten ein. Das behaupte ich natürlich nicht einfach nur so, sondern habe es recherchiert: meine Quellen sind die kompetenten Fachkräfte von studieren.de und unicum. Beide Autoritäten veranschlagen monatlich Kosten von rund 700 Euro. Davon sind ca. 37 Euro „Lernmittel“. Zählen wir hier die – in beiden Studien nicht berücksichtigten Gebühren von ca 700 Euro/Semester (Studien- und Verwaltungsgebühr), also grob 120 Euro/Monat hinzu, ziehen aber die bereits berücksichtigten Gebühren für den ÖPNV (Semesterticket!) wieder ab, so landen wir bei zusätzlichen 80 Euro/Monat (alles gerundet und grob geschätzt). Ergo sind von 780 durchschnittlichen Euro Monatsbedarf nur 120 Euro/Monat (knapp 16%) wirklich fürs Studium. Von den ganzen anderen Vergünstigungen (vergünstigtes Wohnen, Essen, Kulturangebot) ganz zu schweigen.

OK, das Geld muss man auch erst einmal haben. Aber dafür gibt’s ja auch Bafög und spezielle Kredite, und später mal einen vergleichsweise sicheren Job. Und offenbar haben genügend arme Studenten Geld für ein Auto, um dieses signifikant in die Umfragen einzubringen. Ich spare mir weitere Vergleiche mit Azubis, Rentnern und anderen Geringverdienern.

Außerdem haben Studiengebühren auch bisher nicht genannte Vorteile.

Einer ist psychologischer Natur und lässt sich mit dem Schlagwort „Was nichts kostet, ist nichts wert“ zusammenfassen.

Ein weiterer ließe sich analog zur Argumentation längst-überfällige-Autobahnmaut so formulieren: Warum sollen alle (mit ihren Steuern) den späteren Reichtum (besseren Job) weniger bezahlen? (Womit wir eben doch wieder bei Azubis und Meisterschülern wären…) Das ist schließlich auch nicht gerecht.

Und drittens wird argumentiert, dass Chancengleichheit nicht auf der freiwilligen tertiären Ausbildung geschaffen werden kann, sondern bei der primären und sekundären Grundbildung anfangen muss: kostenlose Kindergärten und allgemeinbildende Schulen, die den Namen verdienen.

Bevor mich jetzt schon wieder alle schlagen: ich habe lange genug studiert, um beide Positionen erkennen, darstellen und auch – pro forma - vertreten zu können. Persönlich fände ich es schöner, gäbe es überhaupt keine Gebühren für Bildung oder Ausbildung, auf keiner ihrer primären, sekundären oder tertiären Stufen.

Müßte ich aber unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit und einer möglichst breiten Allgemeinbildung für möglichst viele Mitglieder der Gesellschaft wählen, welche der entsprechenden Gruppen einen Anspruch auf kostenlose Bildungsangebote hat, kann ich die Studierenden genauso wenig herausgreifen wie die Meisterschülerinnen (die übrigens für die Meisterausbildung und -prüfung zahlen müssen, und nicht zu knapp!). Vor allem für die sogenannten bildungsfernen Schichten ist ein kostenloser Kindergartenzugang wichtiger als ein kostenloses Universitätsstudium. Sorry.

Unter diesen Umständen müsste man also eine andere Lösung als Kompromisssmöglichkeit betrachten, nämlich

2) Studiengebühren den Unis zur freien Verwendung geben

Bisher sind die Möglichkeiten, die Studiengebühren zu verwenden, stark durch den Umstand begrenzt, dass sie zusätzliche Mittel sind und die Grundversorgung durch die Länder nicht ersetzen dürfen. Sie sind sozusagen nur Kür und Sahne auf der staatlichen Pflicht und Brotsuppe. Angesichts der strukturellen Unterfinanzierung der Universitäten, die zu flächendeckendem Investitionsstopp bei der Infrastruktur und den bekannten Auswüchsen der Massenuniversität geführt hat, können die Studiengebühren in ihrer jetzigen Anwendungsmöglichkeit die Probleme der einzelnen Hochschulen also gar nicht beheben.

Das wäre anders, könnten die Unis mit dem Geld wirklich machen, was sie wollten bzw. müßten (Dächer flicken, Lehrstühle gründen und besetzen). (Und ja, werte Studierende: auch von geflickten Dächern würdet ihr profitieren, studiert es sich doch in ordentlicher Umgebung viel besser: architecture matters!) Möglichkeit der freien Verwendung heißt ja nicht automatisch Aufforderung zur freien Verschwendung – zum Beispiel könnte man total basisdemokratisch Vorschläge machen und mitbestimmen, wofür das Geld jeweils verwendet werden soll, und mit den entsprechenden Kontrollmechanismen ließe sich das auch sicherlich überprüfen und ggf. sanktionieren.

Leider bin ich gar nicht so eine Idealistin wie es da eben anklang, sondern so eine Realistin, das ich – wie viele auch – befürchten würde, die Länder würden sich unter lauter Bewunderung des klugen universitären Wirtschaftens still und leise (noch) mehr aus der notwendigen Grundfinanzierung zurückziehen. Wie ließe sich das verhindern, bei dem beständigen und einleuchtenden Sparzwang der kommenden Jahre?

Möglich wäre vielleicht eine gesetzliche Koppelung der Bildungsaufgaben ans BIP, und zwar in der Form, das antizyklisch investiert würde (denn in der Krise brauchen wir mehr nicht weniger kluge Köpfe). In gewisser Weise hat die Bundesregierung das ja auch schon beschlossen, allerdings sind da noch einige Rechentricks davor... und das BIP sinkt, dank Krise, is' also nischt mit antizyklisch...

In jedem Fall müsste den zu-Recht-befürchteten sozialen Nachteilen der Gebühren mit einem ordentlichen Bafög- und Stipendiensystem entgegengewirkt werden. Am besten wäre wahrscheinlich ein Modell, bei dem jede/r Student/in ein elternunabhängiges Bafög von 1000,- Euro im Monat bekäme - davon lässt sich gut leben - und dessen Rückzahlung erfolgt, wenn man einen Job hat. Ist die Studienzeit kurz und der Abschluss gut, kann man Teile der Rückzahlungssumme erlassen - ähnlich, wie es beim heutigen Bafög auch funktioniert. Die Gefahr, mit Schulden in den Job zu starten wird aufgewogen durch die Sicherheit, einen Job zu erhalten. Und durch das elternunabhängige Genehmigunsverfahren sinken die Bürokratiekosten, weil nicht ständig jeden Monat angepasst werden muss, nur weil Papa mal Urlaubsgeld bekommen hat oder der kleine Bruder den Zivildienst anfängt. Und das wichtigste: jeder könnte sich ein Studium leisten!

Vor allem aber brauchen wir einen klaren roten Faden in der deutschen Bildungspolitik, und zwar auf Bundesebene (leider hat aber das Bundesbildungsministerium ja freiwillig auf die letzten Richtlinienkompetenzansprüche verzichtet), sodass deutschlandweit einheitliche Mindestanforderungen und gewisse Qualitätskriterien für die Lehre gesichert würden. Anders als in der Forschung gibt es wenig Interesse, in dieser Hinsicht wenige elitäre Gewinner, also vor allem viele nicht-elitäre Verlierer zu schaffen – das wäre fatal! Gute Lehre muß überall möglich sein!

Aber darüber reden wir morgen… hoffentlich dauern die Proteste lange genug, dass ich mit meinen Punkten durchkomme!

Links:
http://www.taz.de/1/zukunft/wissen/artikel/1/studiengebuehren-schrecken-schueler/
http://studieren.de/studium-lebenshaltung.0.html
http://www.unicum.de/leben/lebenshaltungskosten/
http://www.hwk-bremen.de/index.php?id=656

Lustig weiterlesen:
http://www.taz.de/1/zukunft/wissen/artikel/1/notwendig-oder-irrtum-der-geschichte/

Und natürlich ist dieser Artikel die direkte Fortsetzung von: Studierendenproteste in Serie. Heute: Studiengebühren.

2 Kommentare:

julia hat gesagt…

so. ich hab die beiträge erst eben gelesen.
und find es gut. zum teil.
ich selbst studiere. erst ein jahr in hamburg, das eine semester noch "frei", das andre 500€. unter protest. warum? ganz klar. von dem höchstsatz-bafög kann man nicht leben. sparsam ja. aber auch nur wenn man suppen mag.
ich bin nun aufgrund von fachbereichsauflösung und hin und her ein jahr jobben, praktikas machen gewesen. ohne studentenausweis. vergünstigungen ade. hatte aber durch bafög wegfall noch weniger geld. kann also irgendwie nachvollziehen, wie sich die von dir beschriebene alleinerziehende fühlt.
genauso wie ich weiß, wie teuer ein monatsticket ist. verdammt teuer. ein monat normal zahlend beudeutet sechs monate student. zumindest in hh.
bin unter hinundher in halle gelandet. hier gibt es keine studiengebühren. nur der normale verwaltungsbeitrag. und trotzdem bin ich gegen studiengebühren.
ganz einfach, weil das tolle system so nicht funktioniert.
in halle ist die hochschule top in schuss, wir haben ziemlich viele möglichkeiten. von denen manche mit den 500€-gebühern träumen können. weil nämlich nichts passiert.
weil hochschulen die heizkosten selbst zahlen, weil sie das geld nicht für dozenten ausgeben dürfen.
schön, wenns warm ist, aber du in das seminar nicht mehr reinkommst.

ich weiß, auszubildende schimpfen oft auf die faulen studenten. die sich weigern geld zu zahlen.
es war vielleicht auch mal so. es gibt bestimmt genügend von der sorte.
ich für meinen teil kann nur sagen, dass wenn jemand in der regelstudienzeit beim bachelor was mitnehmen möchte an wissen, ganz sicher eine mehr-als-40stunden woche hat. und wir wollen einfach nur eine gute grundlage zum lernen.


ich kann das geld nicht aufbringen. weil ich nicht weiß, wann ich nebenbei geld verdienen soll. die woche ist mit vorlesungen, projektarbeiten und kursen (ich studier design) vollgestopft. am projekt wird am wochenende weitergearbeitet. ich besuch somit meine familie dreimal im jahr. weihnachten, und semesterferien. ja. semeststerferien sin mit praktikas zugestopft. weil man ja engagiert sein will.
weil man schulden hat und die verdammtnoch mal mit nem guten job nach dem studium abzahlen möchte.
klar verdienen wir später vielleicht/hoffentlich geld von dem wir leben können. aber muss ein besseres momentan-finanzierungssystem finden, dass wirklich jeder studieren kann!

ich möchte nur, dass menschen, die nicht studieren einfach ein wenig verständnis für die heutigen studenten aufbringen. das viel erlangt wird, und dass sie sich auch nicht alles vorknallen lassen. das ist unser gutes recht.

Bleistifterin hat gesagt…

Liebe Julia,
danke für Deinen Beitrag. Im Endeffekt scheinen wir ja einer Meinung zu sein: ich habe ja schon angedeutet, dass es mir ohne Studiengebühren auch lieber wäre. Elternunabhängiges Bafög, rückzahlbar, Rabatte für gute Noten (so wie ja heute auch schon): Das wäre eine saubere und faire Lösung. Oder gleich ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber das ist ein ganz anderer Post. Ich wollte nur mal zurechtrücken, dass wir - trotz allem - auf hohem Niveau jammern, wenn man die Studiengebühren mal ganz genau betrachtet. Mehr dazu im nächsten Post.