Wer diesen Blog schon länger liest, weiß, bei aller Anonymität, dass die Autorin zum einen schon länger an ihrer Doktorarbeit schreibt und zum anderen an einer kleinen Universität arbeitet. Der Rummel um Karl Theodor zu Guttenbergs möglicherweise plagiierte Dissertation und alle Implikationen, die sich daraus ergeben interessiert mich daher sowohl privat als auch beruflich. Dies betrifft ganz verschiedene Aspekte der Debatte:
– ganz konkret: zu Guttenbergs Anspruch auf einen akademischen Titel (und daraus abgeleitet für seine (politische) Glaubwürdigkeit)
- etwas allgemeiner: die Rückschlüsse auf die akademische Kultur in Deutschland, und wie sie sich zu Fragen akademischer Ethik verhält
Wie klar und eindeutig der Fall Guttenberg wirklich ist, dazu möchte ich mich an dieser Stelle (noch) nicht äußern. Zuerst einmal möchte ich mich etwas genauer über die konkreten Anschuldigungen informieren. Ich möchte erst einmal einige der im
wiki Guttenplag (http://de.guttenplag.wikia.com) gefundenen Stellen lesen, bevor ich etwas dazu sage oder schreibe. Da die Seite schon sehr umfangreich ist, brauche ich dazu etwas mehr Zeit und Muße. Die endgültige Beurteilung der Vorwürfe liegt ohnehin bei der Universität Bayreuth, die den Titel verliehen hat. Sollten sie die Vorwürfe einräumen müssen, fiele auch auf sie, bzw. die Betreuer und Gutachter ein schlechtes Licht.
Mit der Aufgabe des Titels durch Herrn zu Guttenberg ist die Sache jedoch keineswegs erledigt. Der Fall wirft schließlich ein Schlaglicht auf die deutsche Wissenschaftspraxis. Wir Akademiker müssen uns nun alle die Frage stellen (und die Frage gefallen lassen), wie denn die gängige Praxis bei der Verleihung von Doktorgraden abläuft. Und hier liegt doch auch schon eines der Probleme:
Es gibt doch eigentlich nicht wirklich eine gängige Praxis.
So einfach, wie sich mir die zur Zeit geführte öffentliche Debatte darstellt, ist die Sache nämlich leider nicht. Schon der reine Tatbestand dessen, was ein Plagiat darstellt, ist ziemlich umstritten. Außerdem legen die verschiedenen Fachbereiche an deutschen Universitäten höchst unterschiedliche Maßstäbe an, zum Teil aus gewissen akademischen Traditionen heraus. Dazu kommt, dass grundlegende Kenntnisse wissenschaftlichen Arbeitens (vor allem in der Königsdisziplin „Belegen und Zitieren“) je nach Dozent, Lehrstuhl, Fachbereich oder Universität nicht mit der gleichen Sorgfalt vermittelt werden – und dann gegebenenfalls nach einigen Generationen dermaßen schlampiger Ausbildung auch nicht mehr vermittelt werden kann.
“Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt vor, wenn in einem wissenschaftserheblichen Zusammenhang bewusst oder grob fahrlässig Falschangaben gemacht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt oder sonst wie deren Forschungstätigkeit beeinträchtigt wird.“
Zur Verletzung geistigen Eigentums zählt sie insbesondere „in Bezug auf ein von einem anderen geschaffenes urheberrechtlich geschütztes Werk oder von anderen stammende wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse, Hypothesen, Lehren oder Forschungsansätze:
■■ die unbefugte Verwertung unter Anmaßung der Autorschaft (Plagiat)
■■ die Ausbeutung von Forschungsansätzen und Ideen, insbesondere als Gutachter (Ideendiebstahl)
■■ die Anmaßung oder unbegründete Annahme wissenschaftlicher Autor- oder Mitautorschaft
■■ die Verfälschung des Inhalts
■■ die unbefugte Veröffentlichung und das unbefugte Zugänglichmachen gegenüber Dritten, solange das Werk, die Erkenntnis, die Hypothese, die Lehre oder der Forschungsansatz noch nicht veröffentlicht sind“
Inwieweit einer dieser Vorwürfe auf die Dissertation von Herrn zu Guttenberg zutrifft, möchte ich an dieser Stelle gar nicht bewerten. Wichtig ist jedoch festzuhalten, dass Unwissenheit (wie es „richtig“ geht) nicht vor einem Plagiatsvorwurf schützt. Sollte KTzG also „nur“ fahrlässig gehandelt haben, also bspw. die Fußnoten an die falsche Stelle gesetzt, oder ein-zwei Mal vergessen haben, so wie er es bereits eingeräumt hat, wäre der Plagiatsvorwurf bereits begründet. (Eine
offizielle Pressemitteilung des Verteidigungsministeriums gibt es scheinbar zurzeit noch nicht. Angesichts des „laufenden Verfahrens“ an der (indirekt mitangeklagten) Universität Bayreuth ist das m. E. auch nachvollziehbar.)
Allerdings fällt mir doch auf, dass die Vorwürfe, die erhoben werden, vielfach genauso ungenau sind, wie es offenbar die Zitierweise des Verteidigungsministers war. Eine schlampige Arbeitsweise (in einer mit „summa cum laude“ bewerteten Arbeit noch dazu!) ist wahrlich schlimm genug, und kann, ja muss! zur Aberkennung des Titels (bzw. wie hier geschehen: zur Aufgabe des Titels) führen. Die Doktorarbeit dient schließlich als Prüfung dem Nachweis, dass man die Spielregeln des wissenschaftlichen Arbeitens beherrscht und beherzigt. Sorgfalt, Präzision und Transparenz sind hier nicht einfach nur wünschenswerte Tugenden, sie sind die zugrunde liegende Voraussetzung einer jeglichen wissenschaftlichen Erkenntnis.
Dennoch ist es noch einmal ein substantiell schlimmerer Vorwurf zu unterstellen, zu Guttenberg habe einen Ghostwriter engagiert, also eine völlig fremde Arbeit als seine eigene ausgegeben – wie mehrfach geschehen, teils als
Hoax-Meldung, teils durch die häufige Aussage, er habe die Arbeit „nicht selbst geschrieben“.
Dies scheint mir nach meinem bisherigen Kenntnisstand nun wirklich nicht passiert zu sein.
Und auch die Verwendung fremder Formulierungen allein ist – entgegen der Auffassung des Guttenplag-Initiators – eben noch kein Plagiat, solange die Quelle angegeben ist. Eigene, strengere Kriterien als die wissenschaftlich üblichen anzuwenden, ist daher, sagen wir, „wenig hilfreich“. Die Beurteilung solcher korrekt zitierter Stellen im Rahmen der eigenständigen Thesen der Doktorarbeit obliegt hingegen allein den Betreuern der Arbeit und anderen, inhaltlich einschlägig informierten Fachleuten.
(Kontext: Auf Guttenplag heißt es bei den FAQs zur Frage: "Bei einem der angeblichen Plagiate ist die Quelle in einer Fußnote angegeben/im Literaturverzeichnis aufgeführt. Ist das fair?
Ein Plagiat wird nicht zulässig, nur weil eine Fußnote oder das Literaturverzeichnis auf die Quelle verweist. (Siehe auch
[1], Abschnitt "Plagiarism - Sources Are Cited") Zweck einer Dissertation ist es, Neues herauszufinden und eine eigene Position zu vertreten. Die Verwendung fremder Literatur hat immer im Zusammenhang mit diesem Zweck zu geschehen. Das kann etwa kritische Bezugnahme darauf, Fortentwicklung dort vertretener Gedanken, Anwendung dortiger Ideen auf eigene Gedanken (oder umgekehrt) sein. Geschieht sie jedoch
nur zum Zweck, sich fremde Gedanken
zu eigen zu machen, um keine eigenen entwickeln zu müssen, so sprechen wir von einem Plagiat – egal, ob die Quelle irgendwo angegeben ist oder nicht."
Ein weites Feld, und noch viel zu sagen. Für heute muss ich aber leider aufhören. Ich versuche, in den nächsten Tagen mehr dazu zu schreiben.
Links:
http://de.guttenplag.wikia.com/
http://www.hrk.de/de/beschluesse/109_422.php
http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/presse/pressemitteilungen/archiv_2011?yw_contentURL=/C1256F1200608B1B/W28C6C4E151INFODE/content.jsp
http://www.netzpolitik.org/2011/fake-pm-weist-zu-guttenberg-kommerziellen-ghostwriter-nach/
http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/FAQ