Es ist nicht so, als ob ich in den letzten Monaten nichts gelesen hätte, oh nein! Es stimmt allerdings, das die vormals beliebte, und 2007 regelmäßig erscheinende Rubrik "Bücher sind Lebensmittel" seit der letzten Ausgabe stark vernachlässigt wurde. Dabei ist gerade mein Konsum an Non-Fiction im letzten Jahr stark angestiegen. Sogar in meinen Tags steht es 17 (Fiction) zu 21 (Non-Fiction). Dies ist bemerkenswert, handelt es sich dabei doch um Sachbücher, die ich nicht für die Diss gebraucht habe!
Ich habe also gelesen, wenn auch vielleicht weniger als früher. In manchen Fällen, so scheint es mir, vor allem langsamer. Schon im Oktober hatte ich beispielsweise, angeregt durch die Ausstrahlung der hübschen Verfilmung mit Gerard Depardieu und Ornella Muti, und verführt durch die Gelegenheit - nämlich den Aufenthalt in einer französischen Bahnhofsbücherei - Dumas' Graf von Monte Cristo erstanden (und auch darüber berichtet). Nun rührt ein Großteil meiner Abneigung gegen die Lektüre französischer Literatur sicherlich daher, dass ich aus mir selbst unbekannten Gründen immer Bücher greife, voll mit passé simple und merkwürdigen Vokabeln und den noch merkwürdigeren Lebensumständen der oberen Schichten im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Immerhin hat Dumas den Vorzug gegenüber vielen seiner Zeitgenossen, dass die Abstrusität seiner Handlungen weder versucht, soziale Realität zu spiegeln, noch die Langeweile der Epoche in Worte (bzw. Handlung) zu fassen... Und doch: auch Der Graf beginnt langsam. Die ersten 150 Seiten schleppen sich dahin. Bis der junge Dantés endlich im Gefängnis landet, vergeht eine Ewigkeit. Häufig lässt sich bei der Lektüre des berühmten Klassikers nicht der Gedanke vermeiden, dass die Verleger gut daran getan hätten, die Handlung zu kürzen und zu straffen, vielleicht sogar den Stil etwas zu... nun ja. Es liegt in der Natur des Fortsetzungsromans, des Kolportageromans, wortreich und weitschweifend zu sein. Das Ding wird per Zeile bezahlt, und je mehr Teile es gibt, desto besser! Und trotz aller Fehler: Das Ding wird spannend. Hat man sich also erstmal in die altertümliche Sprache und Denkweise dieses Buchs eingelesen, ist es fesselnd. Und zutiefst frustrierend, wenn man am Ende von immerhin 928 Seiten und 61 Kapiteln feststellen muss, dass zwar die Rache des Grafen gerade erst beginnt, das Buch aber schon aus ist...
(Übrigens, liebes Amazon.de: das ist kein Ausrufezeichen am Ende des Titels! Das ist eine Römische Eins (I), wie in Band I. Warum nur macht Ihr es so schwierig, auch Band II zu kaufen? und Dumas, zumindest in dieser Ausgabe, gehört auch nicht in "Englische Titel", danke schön.)
Bis ich mir also den Zweiten Teil beschafft hatte, war eine Lücke zu füllen.
Der Graf ist ein neureicher, selbstgerechter Parvenü , ein Aufschneider und Angeber und drogensüchtiger Haschischesser. Seine enorme finanzielle Macht nutzt er, um aller Welt Verderben zu bringen. Seine Bildung besteht aus den 150 Büchern und 5 Sprachen, die sein Zellengenosse Abbé Faria auswenig gelernt hatte, und die er in nur zwei Jahren (!) ebenfalls erlernt (was die Sprachen angeht: akzentfrei. Natürlich.) Aber weil es die Gesetze des französischen Kolportageroman so wollen, ist er gutaussehend und von großer Anlage, und im Gegensatz zu seinen ebenfalls aus den unteren Klassen stammenden Feinden merkt man seinem edlen Herzen die niedrige Herkunft niemals an. Das ist wahre Größe, ja, der Vergleich mit einem Gott, oder mindestens von Gott gesandten Racheengel ist ein Leitthema des Romans.
Bis ich mich also wieder mit ihm beschäftigen konnte, habe ich mir einen anderen Großen, angeblich von Gott Gesandten vorgenommen: Barack Obama und die Audacity of Hope . Schließlich kann der Mann angeblich schreiben, und wenn ein dermaßen wichtiger Politiker seine wichtigsten politschen Ziele in einem Buch vorstellt, das noch dazu VOR seinem Präsidentschaftswahlkampf erschienen ist - tja, dann sollte man doch auch wissen, was der Mann so vorhat. Und er hat einiges vor. Wow. Ich bin beeindruckt. Wenn ihm nur die Hälfte von dem gelingt, wird er ein großer Präsident. Der Mann ist intelligent, ja: klug, aber nicht arrogant. Er bemüht sich um das Erkennen von Gemeinsamkeiten, er ist empathisch, aber nicht um den Preis eines eigenen Standpunktes. Ich mag ihm nicht in allem zustimmen, was er schreibt, und ich bin auch ganz deutlich nicht die Zielgruppe, für die er schreibt - dies ist ein Buch für Amerikaner - aber ich möchte wirklich sehen, wieviele seiner Ziele er umsetzen kann.
Und ich freue mich schon auf sein nächstes Buch; das Buch, das der (ehemalige) Präsident, und nicht der (gerade gewählte) Senator, schreiben wird.
Links:
http://www.youtube.com/watch?v=mDC_jmcnYfM&feature=related
http://www.amazon.de/Le-Comte-de-Monte-Cristo/dp/226609033X/ref=sr_1_15?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1234803262&sr=8-15
http://www.amazon.de/Madame-Bovary-Gustave-Flaubert/dp/3704311154/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1234804079&sr=8-1
http://de.wikipedia.org/wiki/Fortsetzungsroman
http://de.wikipedia.org/wiki/Kolportageroman
http://www.amazon.de/Le-Comte-de-Monte-Cristo/dp/226609033X/ref=sr_1_15?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1234803262&sr=8-15
http://www.amazon.de/Comte-Monte-Cristo-2/dp/2266090348/ref=sr_1_13?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1234805239&sr=1-13
http://www.amazon.de/Audacity-Hope-Thoughts-Reclaiming-American/dp/0307455874/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1234805968&sr=1-1
Dieser Post ist eine Fortsetzung von Bücher sind Lebensmittel. November. und enthält Referenzen zu Die Freuden des Fliegens. Spießiges Silvester. und Embrace Change. Billy storms the Oval Office.
Mittwoch, 11. Februar 2009
Bücher sind Lebensmittel. Der Graf, Herr Obama und ich.
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