Ich habe natürlich gut reden.
Was den Umgang mit Fußnoten und Quellenbelegen angeht, haben wir Geisteswissenschaftler - oft so viel geschmäht - den Naturwissenschaften und solchen Disziplinen wie BWL, Jura oder Ingenieurwissenschaften einiges voraus.
Als ich damals meine Magisterarbeit in einer angesehenen Zeitschrift veröffentlichen konnte, erzählte ich mit stolzgeschwellter Brust einem Freund davon. Der Freund, ein Biologe, sagte:
"Wie - unter deinem eigenen Namen?"
Clash of cultures, in dem Fall: Fachkulturen. Offenbar, so wurde mir erklärt, waren eigenständige Publikationen für Biologen VOR der Promotion gar nicht möglich. Man arbeitete für die Diss in einer Forschungsgruppe. Die Forschungsgruppe untersteht einem Post-Doc oder Prof. Da dieser offensichtlich die Anweisungen gibt, was man zu erforschen habe (wer sonst?), kann der Forschungsinput ja nicht vom Doktoranden kommen, ergo steht sein Name auch nicht auf dem Paper, und wenn, dann maximal als Co-Autor. (Über das weitverbreitete System der Ehrenautorschaft möchte ich gar nicht reden...)
So wurde mir das damals erklärt.
Für mich roch diese - offenbar gängige - Praxis nach Plagiat.
Vielleicht dürfen Nachwuchswissenschaftler in den Geisteswissenschaften aber auch tatsächlich viel früher viel selbständiger forschen?
Oder vielleicht ist unser gesamtes Studium (mein Erfahrungshintergrund ist natürlich das alte Magisterstudium) von Anfang an auf selbständiges Forschen angelegt?
Wir müssen nämlich während des Studiums Hausarbeiten schreiben. Und beim Hausarbeiten schreiben lernt man das, vom ersten Semester an.
Wer sein ganzes Studium hingegen nur Klausurwissen paukt, ist auf forschendes Arbeiten und forschendes Publizieren nicht wirklich vorbereitet. Dementsprechend entstehen dann grundlegende Probleme bei den Abschlussprüfungen, die ja fast überall aus solchen selbständig recherchierten Arbeiten bestehen: Diplomarbeit, Magisterarbeit, Bachelorarbeit - überall wird plötzlich all das vorausgesetzt, was so ein Ingenieur oder BWLer während des Studiums gar nicht oder kaum eingeübt hat.
Den Prüfern bleiben zwei Möglichkeiten:
a) sie senken die Ansprüche an die Einhaltung allgemeiner Zitiergewohnheiten - die meisten Ingenieure, BWLer und Juristen gehen ja auch gar nicht in die Forschung, wollen gar nicht akademisch arbeiten
b) sie ändern ihre Prüfungsmodalitäten dergestalt, dass auch in den genannten Massenstudiengängen Studierenden Grundkenntnisse wissenschaftlichen Arbeitens vermittelt werden können, d. h. zumindest einige der standardisierten Klausuren durch korrekturintensive Hausarbeiten ersetzt werden.
c) sie ändern die Abschlussprüfung, so dass (auf Bachelorebene) Klausuren geschrieben werden - und die Studierenden in der eingeübten Prüfungsform geprüft werden.
Mein Verdacht ist, dass Lösung a) häufiger vorkommt.
Meine Sorge ist leider auch, dass Lehrende, die es im Studium selbst nicht richtig gelernt haben (gerade bei den Ingenieuren wird eine Herkunft aus der "Praxis" ja als Gütesiegel betrachtet), ordentliches Zitieren gar nicht vermitteln können.
Diese Sorge stammt übrigens auch meiner Erfahrung mit geisteswissenschaftlichen Lehrkräften aller möglichen Fachrichtung, die die Grundlagen so verinnerlicht haben, dass sie sich nicht mehr entsinnen können, wie schwierig das war.
Das ist nämlich schwierig.
Und anstrengend.
Und braucht Zeit, die man auf interessantere, inhaltliche, fachliche Diskussionen verwenden könnte.
Aber was nützt das Klettern in fachliche Gipfel, wenn die Seminarteilnehmer alle nicht begriffen haben, wozu sie die Sherpas anerkannter Autoritäten dabei haben, und wie sie die Seile und Karabinerhaken wissenschaftlicher Zitation bedienen? Natürlich KANN man auch ohne diese auf den Gipfel der Erkenntnis gelangen. Ist aber selten. Und gefährlich. Und man kann abstürzen.
quod erat demonstrandum.
Dienstag, 22. Februar 2011
Causa Guttenberg 2. Wissenschaftliches Fehlverhalten steckt häufig im System.
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2 Kommentare:
Daher haben wir ein paar Regeln zusammengetragen:
Grundlagen wissenschaftlichen Zitierens
Ich bin letztens über ein Zitat eines Mathematikers gestoßen der über Guttenbergs Plagiat sagte, dass das Zitieren doch nicht immer nötig wäre und oft nur Höfflichkeit. Das hat mich zu ähnlichen Gedanken geführt wie Sie. In manchen Fächern ist da wohl wirklich ein Systemfehler.
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