Donnerstag, 17. Dezember 2009

Studierendenproteste in Folge: "Räumen beendet garnix!"

Davon abgesehen, dass man "gar nicht" (analog wohl "gar nix") gar nicht zusammen schreibt, ist diese Ankündigung auf dem Transparent vor dem nunmehr nach vollen vier Wochen Besetzung "geräumten" Hörsaal 1 eine tröstliche Angelegenheit. Klingt auch so hübsch kämpferisch, und täuscht völlig darüber hinweg, dass der Hörsaal von den Studierenden selbst geräumt wurde - ein kontrollierter Rückzug. Wenn es nach der Hochschulleitung gegangen wäre, hätten die Studierenden wahrscheinlich dort auch einen Weihnachtsbaum aufstellen und auf das Christkind warten können. Fakt ist, dass schon seit zwei Wochen andere Studierende angefangen hatten sich zu beschweren - die wollten nämlich schon länger ihren Hörsaal wiederhaben. (hier, besonders in den Kommentaren...)

Auch "Freiraum erkämpfen!" klingt wunderbar martialisch. (hab leider keine Kamera hier, sorry: versuche ein Foto nachzureichen!) Viel besser als "Vorhandenen Freiraum endlich nutzen!" - denn seien wir ehrlich: der AStA klagt auch in Lüneburg über Nachwuchssorgen, denn die Bachelors und Bacheloretten wollen sich alle nicht fürs zeitaufwendige StuPa aufstellen lassen. Das heißt wohl, die offiziellen, vorhandenen Gremien für die studentische Mitbestimmung werden nicht so flächendeckend genutzt, wie es möglich wäre. Und damit werden auch nicht die vorhandenen Räume genutzt, denn natürlich hat der AStA in Lüneburg mehrere Räume zur Verfügung, in denen man sich regelmäßig treffen kann. Und mittwochs nachmittags dürfen laut Leuphana Bachelor Rahmenstundenplan keine (Pflicht-) Veranstaltungen stattfinden, explizit um Freiraum für studentisches Engagement und Gremienarbeit zu ermöglichen.

(Wieso werden die vorhandenen Freiräume nicht genutzt? ist also m. E. die interessantere Frage - vielleicht weil sie von den Nachwuchs-68ern und anderen Kapitalismuskritikern so vereinnahmt werden, dass sich "nur" für Hochschulpolitik interessierende Studierende abgeschreckt fühlen? Offenbar hat die organisierte Studierendenvertretung Akzeptanzprobleme. Wieso wurde denn so großen Wert darauf gelegt, dass die Hörsaal-Besetzung nicht vom AStA organisiert wurde, sondern von "richtigen" Studierenden? Der AStA an sich ist zwar wichtig und leistet gute Arbeit, aber er ist nicht wirklich demokratisch legitimiert ( x% der Stimmen von 29% der Wahlberechtigten? Hallo?? findet ihr das wirklich repräsentativ?) Warum wollen die Besetzer nicht einmal einen Freiraum in der Nähe des (sehr zentral platzierten) AStA-Büros? Und warum wollen sie den einzigen Raum, über den das Präsidium nicht verfügen kann, weil er der Campus Management AG gehört?
Aber das nur am Rande...)

Nun zu den Erfolgen der Besetzung hier auf lokaler Ebene:
1. Man hat sich ein Gespräch mit dem Präsidenten erstreikt! Hurra - obwohl er das natürlich schon am Tag 1 der Besetzung angeboten hatte. Aber da wussten die Studierenden ja noch gar nicht, was sie eigentlich wollen und mußten das erstmal beraten. Is' ja auch richtig so.

2. Man kämpft für die Abschaffung der Anwesenheitspflicht. (hier und nochmal hier) Wirklich? Wenn das Eure größte Sorge ist, dann jammert Ihr in Lüneburg wirklich auf verdammt hohem Niveau... Denn, seien wir mal ehrlich: laut RPO im Leuphana Bachelor gibt es überhaupt keine Anwesenheitspflicht. Sie ist zumindest keine Studienleistung. Und wenn eine Empfehlung ausgesprochen wird, dass die Studierenden doch bitte an 75% des Seminars auch tatsächlich teilnehmen wollen - wer will einem Lehrenden das verdenken?
Immerhin geht es hier um Bildung. Wissen erwerben - also ein Buch lesen - kann ich auch alleine zu Hause im stillen Kämmerlein. Aber Bildung - sei es Persönlichkeitsbildung oder auch nur Meinungsbildung - Bildung erwerbe ich allein in der Auseinandersetzung mit anderen, und zwar in der Diskussion über das zuvor im o.g. Buch gelesene abstrakte Wissen.
Daraus folgt

1. dass ich ins Seminar gehe und
2. dass ich vorbereitet ins Seminar gehe. Und
3. sollte ich dann dort tunlichst den Mund öffnen, und mich aktiv beteiligen.

Dafür zahlen wir Geld, dies ist die Infrastruktur, die uns nur eine Universität bieten kann, hier findet die "exzellente" Lehre statt, um und für die wir kämpfen - und dann habt Ihr das größte Problem damit, dass von Euch erwartet wird, tatsächlich teilzunehmen? Findet Ihr das nicht auch ein bisschen paradox?

Persönlich habe ich genug Lehrerfahrung um beurteilen zu können, wie frustrierend es sein kann, wenn man einen sorgfältig durchdachten Seminarplan erstellt hat, nur damit dieser durch das offensichtliche Desinteresse (schlechte Vorbereitung, unentschuldigtes Fernbleiben) von Studierenden torpediert wird. Auch ist es das Recht der Lehrenden zu wissen, wer wann da war und bestimmte Informationen tatsächlich erhalten/Referate gehört/ an Diskussionen teilgenommen hat. Anwesenheitslisten können das gut dokumentieren.

Und auch wenn einige Lehrende der Versuchung erliegen, eine in der RPO nicht verankerte Anwesenheitspflicht mittels solcher Listen zu suggerieren - ja seid Ihr nun erwachsene, selbstverantwortliche Menschen mit Informationskompetenz oder nicht? Laßt einzelne Lehrende doch leere Drohungen aussprechen - sie können und dürfen Euch nicht wegen mangelnder Teilnahme von Prüfungsleistungen ausschließen! Persönlich wage ich zu äußern, dass die meisten Studies von einer regelmäßigen Teilnahme auch in der Prüfung profitieren würden - und zwar schlichtweg, weil sie dann besser auf die Prüfung vorbereitet wären. So simpel ist das nämlich manchmal.

Allerdings ist mir allerdings schon aufgefallen, dass in der direkten persönlichen Auseinandersetzung mit Prüfungsberechtigten unsere ach-so protestbereiten Studierenden häufig nicht einmal zu einer erwachsenen Gesprächsführung (höflicher Ton und Wortwahl) bereit sind. Sie schreiben geradezu unverschämte Briefe an Prüfungsamt, Studiengangskoordinatoren, oder das in diesem Kontext weitestgehend anonyme Präsidium und fordern dies oder jenes.
Die Forderungen sind oft berechtigt - es geht mir um grundlegende Anzeichen von Höflichkeit und Respekt - aber warum sprecht Ihr nicht direkt mit dem für den Mangel verantwortlichen (Dozenten)?
Warum traut Ihr Euch nicht, öffentlich und auch im Angesicht von möglichen Sanktionen (die wohl in 99% der Fälle unbegründet bloß befürchtet werden) einmal zu Eurer Meinung zu stehen? Dazu gehört weit weniger Zivilcourage als die "Weiße Rose" damals aufbringen musste, und doch möchten bspw. die drei Sprecherinnen des besetzten Hörsaal 1 ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. (hier) Ja Himmelsakra, warum denn nun eigentlich nicht? Schämt Ihr Euch? Angst vor Exmatrikulation? Glaubt Ihr wirklich, eine geduldete Hörsaalbesetzung mit der allseitigen Ermutigung zu konstruktiven Gesprächen führt zu Exmatrikulation? Oder man könnte die "Rädelsführer" aus einem festen Kern von 40 Besetzern nicht durch einfaches Vorbeigehen identifizieren? Ist "Kaja" etwa ein so häufiger Vorname!?
Werdet erwachsen!
Wie aufgeschlossen gerade auch Präsident Spoun Euren Forderungen gegenüber ist, habt Ihr doch selbst dokumentiert:



Statt das Angebot einer konstruktiven, auf win-win angelegten Zusammenarbeit anzunehmen, wohlt Ihr Euch nicht "niederkuscheln" lassen. Schön, wenn der Feind identifiziert ist. Allein, die Begründung des Feindbildes entgegen jeglicher Erfahrungswerte schmeckt nach ererbtem Vorurteil.
Wohlgemerkt: ich bin den Studierendenprotesten wohlgesonnen. Aber Ihr macht es mir verdammt schwer, mich nicht über sie lustig zu machen, denn zu sehr scheint alles einer vorgegebenen Inszenierung zu folgen, die nicht authentisch wirkt. Wahrscheinlich war das bei uns damals genauso, aber Ihr bleibt echt hinter Euren Möglichkeiten zurück. Weil Ihr immer noch APO spielt, aber an deren Ideen nicht mehr glaubt. Weil Ihr Euch nicht mal traut, Euren kleinen (aber wichtigen) Forderungen Euren Namen und Euer Gesicht zu geben. Und weil Ihr nicht bereit seid, verantwortliche Konsequenzen aus Eurem Unmut zu ziehen (z. B. durch konstruktives und vor allem dauerhaftes und daher anstrengendes Engagement in den immer noch vorhandenen hochschulpolitschen Gremien).
Und dann rasselt Ihr wieder mit den Säbeln und probt Eure unnütze und überflüssige Krawallrhetorik, nur weil das kulturelle Gedächtnis sich immer noch an Dutschke und Co orientiert. Das ist doch traurig. Ihr wollt nicht sein wie "die Leute vom AStA"? Benehmt Euch nicht so.
Irgendwie tut Ihr mir alle ein bißchen leid.

Bildquellen:
http://www.flickr.com/photos/hoersaal1lg/4155879602/
und http://hoersaal1lg.zzl.org/?p=583

Links:
http://hoersaal1lg.zzl.org/?p=461
http://www.asta-lueneburg.de/fileadmin/images/wahlen/Hochschulwahl_Dezember_2008/2008-12-06_Festellung_Wahlergebnis.pdf
http://hoersaal1lg.zzl.org/?p=597
http://hoersaal1lg.zzl.org/?p=721
http://hoersaal1lg.zzl.org/?p=706
http://www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/VERWALTUNG/praesidium/intern/intern2007/Gazette_09_07.pdf
http://www.landeszeitung.de/lokales/hochschule/news/artikel/studenten-fordern-mehr-demokratie/
http://www.youtube.com/watch?v=7-l8dJzTA-k&feature=player_embedded

und ja: zuletzt ähnliches zum gleichen Thema hier: Studierendenproteste in Serie. Heute: Studiengebühren (3. und letzter Teil)

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